Die FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) ist die offizielle Weltmeisterschaft für Sportwagen. Als Neuling sind die mehr als 30 Autos und die langen Rennen vielleicht etwas ungewohnt. Um den Einstieg zu erleichtern, klären wir die wichtigsten Fragen in unserem Leitfaden „Die FIA WEC für Einsteiger“. So sind Sie bestens vorbereitet, um Ihr erstes WEC-Rennen aktiv zu verfolgen.
Ausdauer in zwei Klassen
Die FIA WEC ist eine vollwertige FIA-Weltmeisterschaft, in der Rennen rund um den Globus ausgetragen werden. Oft stehen mehr als dreißig Autos in zwei verschiedenen Klassen am Start.
Der Schlüssel zur WEC liegt im Namen – Ausdauer. Die Rennen dieser Saison reichen von sechs Stunden auf Strecken wie Spa-Francorchamps, Imola oder etwa Fuji über acht Stunden in Bahrain über 10 Stunden (1812 km) in Katar bis hin zu 24 Stunden beim Saisonhöhepunkt in Le Mans. Das ermöglicht es, eine echte Strategie zu entwickeln und verlangt den Teams einiges ab. Autos, die in der Anfangsphase des Rennens auf der Pole-Position stehen oder schnell sind, müssen im weiteren Verlauf des Rennens nicht immer an der Spitze stehen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Zeitspanne viel Spielraum für Wetterumschwünge und Temperaturschwankungen bietet. Ein weiterer Faktor ist das Verlassen des Fahrersitzes und die Übergabe an einen Teamkollegen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Rennstrategie.
Freiheit im Design
Ein weiteres wichtiges Merkmal der WEC ist das Regelwerk. Der Sportwagensport hat in seinem Reglement schon immer mehr Freiheiten zugelassen als andere Serien – und das gilt auch für die FIA WEC. In der Königsklasse (Hypercar) setzen die Teams auf einen selbst entworfenen Prototyp gemäß dem Hypercar-Reglement oder auf einen teilfertigen Prototyp nach dem LMDh-Regelwerk. Bei den LMGT3-Fahrzeugen können frei verfügbare Seriensportwagen eingekauft werden. In beiden Klassen wird ein Balance-of-Performance-System eingesetzt, um sicherzustellen, dass die verschiedenen Fahrzeuge auf der Strecke gut aufeinander abgestimmt sind.
Dieses Maß an Freiheit in der Spitzenklasse ermöglicht ein breites Leistungsspektrum, das von kleineren Motoren mit 460 PS bis hin zu experimentellen Hybridantrieben mit über 1.000 PS reicht. Die Hersteller können ihre neuesten Innovationen ausprobieren, fast immer mit Blick auf ihre Straßenmodelle. Der Rennsport gilt seit langem als die ultimative Testumgebung, in der die Komponenten bis an ihre absoluten Grenzen gebracht werden, bevor sie in die Straßenfahrzeuge einfließen. Der Bezug zur Straße ist zu einem der wichtigsten Grundsätze des FIA-WEC-Konzepts geworden, insbesondere in der Spitzenkategorie Hypercar, und ist ein fester Bestandteil des Regelwerks.
Die Hypercars
Der Langstreckensport verfolgt seit jeher ein „Mehrklassenkonzept“, was bedeutet, dass verschiedene Fahrzeugkategorien gleichzeitig auf derselben Strecke fahren. Mit ihren zwei Klassen bildet die WEC hier keine Ausnahme. Diese lassen sich im Wesentlichen in zwei Hauptklassen für Prototypen und die GT-Fahrzeuge unterteilen. Die Prototypenklasse (Hypercar) richtet sich in erster Linie an Auto-, Motoren- und Fahrzeughersteller, die ein Umfeld suchen, in dem sie ihre neuesten Entwicklungen und Innovationen auf Herz und Nieren prüfen können. Die charakteristische Form dieser Prototyp-Rennwagen geht auf die 1970er Jahre zurück, als der Schwerpunkt eher auf technologischen Innovationen als auf der Ähnlichkeit mit dem Straßenfahrzeug lag. Die Hypercar-Kategorie ist aktuell die Königsklasse der Prototypen mit Werksautos unter anderem von Ferrari, Toyota, Porsche, Alpine, BMW, Lamborghini und Peugeot.
Die GT3-Fahrzeuge
Die zweite große Klasse ist jene der GT3-Fahrzeuge. Sie ist die Heimat von Rennwagen, die dem Aussehen von Sportwagen sehr ähnlich sind und auch auf der Straße gefahren werden können.
Die GT3-Klasse ist die kleinste der zwei Kategorien und beherbergt ausschließlich private Teams mit so genannten „Gentleman Drivers“. Die Zusammenarbeit zwischen Amateurfahrern und professionellen Rennfahrern hat im Langstreckenrennsport eine lange Tradition. In der GTE3-Klasse kann theoretisch jeder teilnehmen, der über die nötigen finanziellen Mittel und eine entsprechende Rennlizenz verfügt.
Da die GT3-Autos in der Regel zwischen 15 und 45 Sekunden langsamer sind als die Hypercars an der Spitze des Feldes, führt das Mehrklassenkonzept dazu, dass die Prototypen fast ständig überholen. Als Faustregel gilt, dass die langsameren Fahrzeuge ihre Linie halten, während die schnelleren Fahrzeuge für das sichere Überholen verantwortlich sind. Die ständige Wachsamkeit und das nötige Fingerspitzengefühl erhöhen jedoch den Druck auf die Fahrer und geben dem Rennen einen zusätzlichen Schliff.
Innovation von der Rennstrecke auf die Straße
Die FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft ist die wahre Heimat der Motorsport-Innovation, denn Langstreckenrennen gibt es schon seit über 100 Jahren. Damals ging es einzig und allein darum, brandneue Technologien unter härtesten Bedingungen zu testen, und zwar im Rennsport. Scheibenwischer, Scheibenbremsen und Scheinwerfer, heute selbstverständliche Komponenten, wurden im 20. Jahrhundert bei den 24 Stunden von Le Mans und anderen Langstreckenrennen auf Herz und Nieren geprüft.
Moderne Langstreckenrennen sind nicht anders. Obwohl die Hypercars optisch wenig Ähnlichkeit mit unseren Autos haben, ist die Spitzenklasse der WEC die Heimat der Spitzentechnologie für Straßenfahrzeuge. In der Vergangenheit haben unter anderem Audi, Peugeot, Porsche und Nissan die LMP1-Klasse als eine Erweiterung ihrer Forschungs- und Entwicklungsabteilungen betrachtet. Jeder Hersteller verfolgt dabei sein eigenes spezifisches Gesamtkonzept. Porsches Straßenfahrzeugtechnologien, wie das Hybridsystem im 918 Spyder, wurden im 919 Hybrid auf Herz und Nieren geprüft, während Toyota seine Hybridtechnologie sowohl im Rennsport als auch in Straßenfahrzeugen erfolgreich einsetzt. Dieser kombinierte Ansatz erfährt mit der Nachfolgeklasse der Hypercars einen neuen Aufschwung. Die großen Hersteller testen hier ihre Innovationen und setzen sie anschließend in Serienfahrzeugen ein.
Effizienz bei optimaler Leistung
Effizienz ist einer der Schlüsselfaktoren in unserer Gesellschaft, und dies ist auch ein Bereich, in dem sich die Langstrecken-Weltmeisterschaft auszeichnet. Bei den Hypercars wird für jedes Rennen eine Kraftstoffmenge vorgegeben, die sie nicht überschreiten dürfen. Obwohl diese Menge jedes Jahr leicht reduziert wird, erreichen die Hypercars dennoch das gleiche Leistungsniveau wie im Vorjahr. Der Schwerpunkt liegt auf Innovation und Entwicklung, ohne Kompromisse bei der Leistung einzugehen. Das wirkt sich auch positiv auf die Autos aus, die wir auf der Straße fahren.
Die Vielfalt beschränkt sich nicht nur auf die Spitzenklasse der Prototypen, sie zieht sich durch das gesamte WEC-Feld. Vom Kreischen des Toyota GR010 Hybrid bis hin zum tiefen Kreischen des Porsche 911 RSR ist für jeden etwas dabei. Im Gegensatz zu den meisten anderen Rennserien kann man auf den Tribünen tatsächlich die Augen schließen und jedes einzelne Auto am Klang seines Motors erkennen.
Rennen in Stints
Langstreckenrennen, insbesondere die FIA WEC, sind eine einzigartige Form des Motorsports. Dabei bildet eine Gruppe von Fahrern ein Team, das mit nur einem Auto antritt. Bei den sechs- bis achtstündigen Rennen der WEC werden die Autos in der Regel auf drei oder manchmal zwei Fahrer aufgeteilt, die sogenannte „Stints“ absolvieren. Ein Stint ist die Zeit, die das Auto zwischen den Boxenstopps auf der Strecke verbringt. In den meisten Fällen dauert der Stint so lange, bis das Auto einen vollen Tank verbraucht hat. Die Länge der Stints variiert von Klasse zu Klasse, liegt aber in der Regel zwischen 45 Minuten und 1 Stunde.
Stintlängen und Fahrerwechsel sind ein weiteres strategisches Element bei WEC-Rennen, da die Teams nicht unbedingt bei jedem Boxenstopp Fahrer und Reifen wechseln müssen. In der Tat ist es bei den 24 Stunden von Le Mans üblich, dass die Spitzenfahrer vier oder sogar fünf Stints hintereinander absolvieren, was etwa 3 Stunden im Auto entspricht.
Alle Fahrer werden von Platin bis Bronze eingestuft, abhängig von einer Vielzahl von Faktoren wie Erfahrung, Alter und Leistung. In der Klasse LMGT3, in der Gentleman-Fahrer mit professionellen Fahrern in einem Team kombiniert werden, soll diese Einstufung für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen und verhindern, dass die Teams einfach ein reines Profiteam zusammenstellen.
Die besten Fahrer der Welt
Sportwagen- und Langstreckenrennen waren schon immer eine Gelegenheit für Formel-1-Fahrer, die vielleicht nicht die Chancen bekommen haben, die sie verdient hätten. Die WEC-Weltmeister von 2013 und mehrfachen Le-Mans-Sieger Tom Kristensen und Allan McNish sind der Beweis dafür. Aufgrund der fehlenden Möglichkeiten zur Teilnahme am aktuellen Formel-1-Paddock oder der erforderlichen Finanzierung finden viele junge, talentierte Fahrer ihren Weg aktuell in den Langstreckensport.
Die Förderung von Talenten erfolgt jedoch auch über ein eigens eingerichtetes Stufensystem: In Schwesterserien wie der ELMS können Fahrer bereits in der LMP3-Klasse Erfahrungen mit Prototypen sammeln. Danach wechseln sie in die LMP2-Klasse bevor Sie in die WEC aufsteigen. Die aktuellen Toyota-Piloten Mike Conway und Brendon Hartley zum Beispiel haben mit ihren Leistungen in der LMP2-Klasse die Aufmerksamkeit der Werksteams auf sich gezogen.
Im Gegensatz zu anderen Motorsportarten ist die FIA WEC eine Serie, in der konstante und konzentrierte Fahrer reich belohnt werden. Der Fokus im Rennen liegt nicht nur auf der Höchstgeschwindigkeit – auch wenn das manchmal durchaus möglich ist. Vielmehr geht es darum, über mehrere Stunden einen optimalen Durchschnitt zu halten. Fahrer, die ein Gleichgewicht zwischen Reifenverschleiß, Kraftstoffverbrauch und Geschwindigkeit finden, sind wirklich herausragend.