Das Rennen in Le Mans ist jedes Jahr aufs Neue etwas ganz besonderes. Doch es gibt diese ganz besonderen Rennen, die sich auf ewig in die Köpfe einbrennen. Eines dieser ganz speziellen sind die 24 Stunden von Le Mans 2011, welche einen Kampf um die Spitze zeigten, den es so zuletzt 1969 zu sehen gab.
Die Saison 2011 war der Beginn einer neuen Ära des Langstreckensports. Zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten waren dies 24 Stunden von Le Mans wieder Teil einer offiziellen Meisterschaft, dem Intercontinental Le Mans Cup (ILMC).
Der ILMC war nach vielen Jahren des Streits erstmals wieder ein Versuch von ACO und FIA zusammenzuarbeiten. Als Vorläufer der WEC war der Intercontinental Le Mans Cup der heutigen Rennserie schon recht nahe. Das Highlight der Saison waren mit Abstand die 24 Stunden von Le Mans.
In der LMP1-Klasse trat Audi gegen Peugeot an. Beide Hersteller befanden sich noch am Anfang des Fahrzeuglebenszyklus und beim Start in Le Mans nahezu auf Augenhöhe. Während Audi mit dem nagelneuen R18 TDI als Titelverteidiger ins Rennen ging, wollte Peugeot mit dem 908 das Jahr 2010 vergessen machen, als alle Fahrzeuge wegen Getriebe- oder Motorschaden aus dem Rennen zurückgezogen werden mussten.
Die Top 5 innerhalb von nur 0,5 Sekunden
Im Qualifying zu den 24 Stunden von Le Mans 2011 zeigte sich Audi gewohnt zuverlässig und sicherte sich die Startplätze eins und zwei. Doch die Zeitabstände waren geradezu minimal. Die ersten fünf Fahrzeuge waren gerade einmal 0,5 Sekunden voneinander entfernt. Die perfekten Bedingungen für ein vielversprechendes Rennen.
Um 15 Uhr Ortszeit startete schließlich das lang erwartete Rennen. Audi konnte die Startplätze eins und zwei bereits ab der Dunlopschikane in eine Doppelführung umwandeln. Doch hinter den beiden R18 TDI war ein gnadenloser Kampf ausgebrochen. Allen McNish hatte im Audi #3 keinen leichten Job, da die drei Peugeot auf jedem Meter einen Angriff starteten.
Später im Rennen hatte sich McNish auf Höhe der Dunlopschikane an den Audi #1 von Timo Bernhard herangearbeitet und setzte zum Überholvorgang an. Doch in diesem Moment kam es zu einer kritischen Berührung mit einem GTE-Ferrari und der Schotte schleuderte mit einem erschreckend hohen Tempo in die Streckenbegrenzung.
Das Fahrzeug wirbelte durch die Luft, bevor der Reifenstapel dem Höhenflug ein Ende setzte. Glücklicherweise konnte Allen McNish unverletzt aus seinem Prototypen geborgen werden, doch für die Crew des Wagens war das Rennen nach einer Stunde bereits zu Ende.
Ein klassischer Kampf zwischen Strategie, Tempo und Effizienz
Im weiteren Rennverlauf konnte das Team der Startnummer zwei (Tréluyer/Fässler/Lotterer) die Führung für sich behaupten und vor dem Schwesterfahrzeug (Rockenfeller/Berhard/Dumas) davonziehen. Die amtierenden Champions hatten immer noch mit einem Schaden aus dem Qualifying zu kämpfen und konnten nicht 100% der Leistung ihres R18 abrufen. Dennoch verfügten beide Prototypen über einen Geschwindigkeitsvorteil gegenüber den Peugeot.
Das französische Werksteam hingegen hatte aber einen größeren Vorteil bei der verfügbaren Spritmenge. Dieser entstand durch geschicktes Taktieren während mehrere Safety-Car-Phasen. Die 24 Stunden von Le Mans 2011 entwickelte sich zu einem klassischen Kampf zwischen Strategie, Tempo und Effizienz.
Als die Dunkelheit einsetzte, wurde der hektische Kampf um die Spitze ein weiteres Mal unterbrochen und eine unheimliche Stille breitete sich über der Strecke aus. Zunächst war unklar, was genau passierte. Das Safety Car wurde auf die Strecke gerufen, um eventuelle Gefahren einzudämmen. Krankenwagen und Feuerwehrfahrzeuge fuhren auf der Strecke von der Mulsanne-Kurve in Richtung Arnage.
Da zu dem Zeitpunkt keine TV-Kamera an der Stelle besetzt war, zeigte das TV-Bild lediglich eine wacklige Aufnahme der Überwachungskamera. Es sah aus wie nach einem Flugzeugabsturz. Fans und Kommentatoren konnten nicht erkennen, wie viele Fahrzeuge in dieses riesige Trümmerfeld involviert waren. Schnell machten jedoch Gerüchte die Runde, dass einer der beiden Audi involviert war.
Eine Onboardaufnahme verschaffte wenig später Klarheit über die Situation. Mike Rockenfeller überholte ausgangs der Mulsanne-Kurve einen langsameren GTE-Ferrari, als er mit seinem rechten Hinterreifen den Grünstreifen erwischte. Das Fahrzeug geriet außer Kontrolle und der Deutsche landete in der Streckenbegrenzung und wurde kurz darauf ins Krankenhaus eingeliefert. Das Fahrzeug wurde dabei völlig zerstört. Für Audi wurde die Ausgangslage noch schwieriger: Ein verbliebener Wagen kämpfte allein gegen drei Peugeot, die in Schlagweite fuhren.
Ein Sprintrennen bis zum Schluss
Als der Morgen anbrach und die Sonne aufging, fanden sich Audi und Peugeot auf Augenhöhe wieder. Jede Runde wechselte die Führung und das Rennen entwickelte sich immer mehr zu einem Sprintrennen. Nach dem Boxenstopp ging zunächst der Peugeot #7 (Wurz/Davidson/Gené) vor der #9 (Bourdais/Pagenaut/Lamy) und dem verbliebenen Audi in Führung.
Doch nur wenig später fuhr Alex Wurz auf Höhe der Indianapoliskurve in die Streckbegrenzung und verlor drei Runden auf dem Weg zur Box. Mit nun zwei verblieben Fahrzeugen spitze sich der Kampf um den Gesamtsieg nochmals dramatisch zu. In den letzten Stunden fuhren alle Fahrer am Limit und versuchten das Beste aus der Situation herauszuholen.
So führten Tréluyer und später auch Lottere riskante Manöver beim Überholen der GT-Fahrzeuge durch, um einen minimalen Vorteil zu erhalten. Der Höhepunkt des Duells ereignete sich im letzten Boxenstopp eine Stunde vor Schluss. Während Lotterer frische Reifen und neuen Sprit für seinen R18 erhielt, so entschied sich das Peugeot-Team lediglich nachzutanken, um den Abstand von 9 Sekunden auf den Audi zu verkürzen.
Am Ende sollten es die frischeren Reifen sein, die das Rennen entscheiden sollten. Audi überquerte nach 24 Stunden als Erstes die Ziellinie und beendete damit eines der spannendsten Rennen der jüngeren Le Mans-Geschichte. Peugeot verpasste den Sieg nur knapp und sah die Zielflagge 13 Sekunde später.
Die Schlussphase der 24 Stunden von Le Mans 2011 war die engste Entscheidung beim Klassiker seit dem berühmten Rennen von 1969. Das Rennen hat gezeigt wie entscheiden der kleinste Fehler ist und welche Auswirkungen es auf das Ergebnis haben kann. Um zu gewinnen, braucht es auf solch einer langen Distanz mehr als nur Tempo, Strategie und Effizienz. Vor allem die Zuverlässigkeit, das richtige Material, Konzentration und ein Funken Glück sind nötig, um am Ende ganz oben zu stehen.
Bilder © WEC-Magazin / Walter Schruff